Eröffnung
Donnerstag, 24.4.2025
19 Uhr
Die Ausstellung Heaven Came Down Like a Blanket zeigt Werke von Ahu Dural, Harry Hachmeister und Katharina Reinsbach. Die Arbeit der Künstler:innen vereint ein melancholischer und zugleich liebevoller Blick auf die Stationen ihrer selbst und auf für sie prägende Orte.
Die künstlerische Praxis von Ahu Dural umfasst Zeichnungen, Collagen, Möbelobjekte und Skulpturen. Von zentraler Bedeutung ist hierbei die ästhetische Auseinandersetzung mit Räumen und Oberflächen, angelehnt an die Architektur, von der Dural in den Jahren ihres Heranwachsens umgeben war. So erzählen ihre Arbeiten von einem Kapitel deutsch-türkischer Gesellschaftsgeschichte, geschrieben in der Berliner Siemensstadt. Im selben Augenblick regen sie die Betrachtenden dazu an, sich mit der eigenen Vergangenheit und den persönlichen Beziehungen auseinanderzusetzen.
Harry Hachmeister setzt in seiner Arbeit verschiedene Materialien und Techniken in Beziehung zueinander. In seiner Malerei, seinen Fotografien und Keramiken umkreist Hachmeister Aspekte von Lust, Intimität und Körperlichkeit. Die Arbeiten des Künstlers lenken den Blick auf die Ambivalenzen, Unschärfen und Mehrdeutigkeiten, die diesen Facetten von Identität zugrunde liegen. Immer wieder legt Hachmeister seinen Fokus auf Prozesse des Wandels, auf Provisorien und Zwischenstadien.
Die Zeichnerin Katharina Reinsbach beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit dem Erinnern und begreift dieses als einen vielschichtigen Prozess, der zugleich körperlich, emotional und sozial ist. Ihre Arbeiten führen die Künstlerin zurück zu für sie emotionalen Orten. Zugleich erlauben sie den Betrachtenden, eigene Assoziationen zu entwickeln und Anknüpfungspunkte zu suchen. Reinsbach arbeitet sowohl mit dem Graphitstift, als auch mit dem Lösungsmittel Aceton, mit dem sie Motive und Farben auf den Bildträger transferiert. Ihre Arbeiten unterstreichen somit die Vielseitigkeit und Gleichzeitigkeit zeichnerischer Mittel.
Heaven Came Down Like a Blanket – Der Himmel kam herunter wie eine Decke. Der Titel dieser Ausstellung ist dem Song Laugh Track der Band The National und der Musikerin Phoebe Bridgers entnommen. Die Vorstellung eines herabfallenden Himmels erscheint bedrohlich und eignet sich bestens, um unsere Urängste zu wecken. Im selben Atemzug legt sich eine Decke schützend um uns. Sie verneint keine schmerzhafte Erinnerung oder Erfahrung, doch bietet sie Komfort und Zuversicht. Ahu Dural, Harry Hachmeister und Katharina Reinsbach präsentieren in der Galerie Parterre persönliche Arbeiten, denen ebendiese Vielschichtigkeit menschlicher Emotionen innewohnt.
Zur Vernissage der Ausstellung erscheint ein gleichnamiger Katalog, der von Simon Grunert gestaltet wird. Der Katalog enthält Texte von Claudia Gülzow, Diana Thun und Björn Brolewski.
Opening
Thursday, 24.4.2025
7 pm
The exhibition Heaven Came Down Like a Blanket displays works by Ahu Dural, Harry Hachmeister, and Katharina Reinsbach. The artists´ works are connected by a melancholic, yet loving look at the stations of their lives and the places that have shaped them.
Ahu Dural´s artistic practice includes drawings, collages, furniture objects, and sculptures. Of central importance here is the aesthetic examination of spaces and surfaces, based on the architecture that surrounded Dural as she grew up. Her works recount a chapter in German-Turkish social history, written in Berlin-Siemensstadt. At the same time, they encourage viewers to reflect on their own past and personal relationships.
In his works, Harry Hachmeister relates different materials and techniques to one another. In his paintings, photographs, and ceramics, Hachmeister explores aspects of desire, intimacy, and corporality. The artist´s works draw attention to the ambivalences, blurs, and ambiguities that constitute these facets of identity. Time and again, Hachmeister focuses on processes of change, on provisional and intermediate stages.
In her works, the draughtswoman Katharina Reinsbach deals with remembrance and understands this as a multi-layered process that is simultaneously physical, emotional, and social. Her works take the artist back to places that are emotional for her and at the same time allow viewers to develop their own associations and look for points of reference. Reinsbach works both with the graphite pencil and with the solvent acetone, with which she transfers motifs and colors to the image carrier. Her works thus emphasize the versatility and simultaneity of graphic means.
Heaven Came Down Like a Blanket – the title of this exhibition is taken from the song Laugh Track by the band The National and the musician Phoebe Bridgers. The idea of the sky falling seems threatening and is ideal for awakening our primal fears. In the same breath, a blanket wraps itself protectively around us. It does not deny any painful memory or experience, yet it offers comfort and confidence. Ahu Dural, Harry Hachmeister, and Katharina Reinsbach are presenting personal works at Galerie Parterre that are imbued with this very complexity of human emotions.
A catalog of the same name, designed by Simon Grunert, will be published to coincide with the opening of the exhibition. The catalog contains texts by Claudia Gülzow, Diana Thun and Björn Brolewski.
Heaven came down like a blanket
Galerie Parterre, Berlin
Der Nachhall von gestern: Spuren der Erinnerung im Werk von Ahu Dural
Diana Thun
Die Ausstellung “Heaven came down like a blanket” in der Galerie Parterre präsentiert mehrere Werke von Ahu Dural (geb. 1984 in Berlin), in denen die deutsch-türkische Künstlerin über ihre persönliche wie familiäre Biografie, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Deutschland ab den 1980er Jahren sowie den Bedeutungsgehalt von Formen reflektiert. Einen wesentlichen Ausgangspunkt für ihre skulpturalen, installativen und zeichnerischen Werke stellt die Beschäftigung mit ihrer eigenen Familiengeschichte dar. Dural wuchs als älteste Tochter türkischer Eingewanderter in Berlin-Siemensstadt auf. Ihre Mutter war schon als Elfjährige aus der Türkei nach Berlin gekommen und arbeitete ab 1980, inzwischen siebzehnjährig, im Siemens-Werk. Zahlreiche Aufnahmen aus den Fotoalben ihrer Familie geben der Künstlerin Aufschluss über ihre eigene Kindheit und das Leben ihrer Eltern in der in starkem Wandel begriffenen Großstadt.
Am Anfang von Durals künstlerischem Werk steht meist ein Detail aus einem Foto oder einer Erinnerung, das ihre Aufmerksamkeit erregt und sie zu einem intensiven Reflexionsprozess bewegt. Ein solches Detail wird dann durch die Künstlerin aus seinem ursprünglichen Kontext gelöst, dessen Form untersucht und in einen neuen Zusammenhang transferiert. Durch diese Übertragung ermöglicht Dural eine Verschiebung der Perspektive und einen erweiterten Blick auf den Bedeutungsraum, aus dem das betreffende Detail stammt. Konkret geht es häufig um das Arbeitsleben ihrer Mutter und dessen Auswirkung auf die Familie, auf ihre Entwicklung und ihre Möglichkeiten. Außerdem greift Dural Momente ihrer Kindheit in der Siemensstadt auf: den Spielplatz, das Einkaufszentrum, den verträumten Blick in den Himmel. Mit ihrem charakteristischen Prozess der Formfindung und -erkundung eröffnet die Künstlerin neue Assoziationsfelder, die eine vielschichtige Betrachtung von Biografie ermöglichen – ihrer eigenen, der ihrer Familie und in gewisser Weise auch der Biografie eines Landes. Denn die sozioökonomische Entwicklung Deutschlands ist, von den Achtzigerjahren bis heute, untrennbar mit Familiengeschichten wie dieser verbunden.
Die Arbeit 15 Years (Var. 2) besteht aus einer Reihe von Fotos, die Durals Mutter Özler Dural in diversen Arbeitskontexten zeigen, etwa bei Abschiedsfeiern oder Jubiläen. Özler Dural montierte im sogenannten Wernerwerk XV, einem der Werksgebäude in der Siemensstadt, Leiterplatten für Siemens-Geräte im Akkord. Die Entlohnung erfolgte daher nicht nach geleisteter Arbeitszeit, sondern nach der fertiggestellten Stückzahl. Die Tätigkeit verlangte ein hohes Maß feinmotorischer Geschicklichkeit, weshalb sie fast ausschließlich von Frauen verrichtet wurde. Die Mutter der Künstlerin ist wiederholt im Kreis ihrer Kolleginnen zu sehen, mal mit Arbeitskittel, mal nicht, mal aufrichtig lachend, mal mit verhaltenem Blick in die Kamera.
Die Fotos sind ausgebreitet auf einem Holzobjekt, Saatwinkler Tisch (Var. 2), dessen fünfeckige Oberfläche an die Form anknüpft, als die sich der Himmel präsentiert hat, wenn die Künstlerin als junges Mädchen ihren Kopf nach hinten geworfen und hinaufgeblickt hat. Thematisch ist die Arbeit daher in der Werkssiedlung von Siemens zu verorten, wo die Familie in einem Plattenbau aus den Siebzigern wohnte. Eine zusätzliche Verankerung erfährt die Arbeit durch die drei Standbeine, auf welchen die Oberfläche liegt: Sie sind als flache, auf ihre Silhouette reduzierte Stiefel ausgebildet. Einzeln wären sie durch ihre Ebenheit kaum tragfähig, aber als Dreiergespann stützen sie das Gestell mit Kraft und Standhaftigkeit. Die Künstlerin verweist damit explizit auf die Frauenbelegschaften, die zum einen mit ihrem Einsatz und ihrer Geschicklichkeit bedeutend zum wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens beitrugen, zum anderen sich untereinander wesentlichen sozialen Halt gaben.
Die Fotos, die auf Saatwinkler Tisch (Var. 2) liegen, werdenaußerdem mit zwei flachen Plexiglasobjekten fixiert, die inihrer Form an abstrahierte, flink arbeitende Hände erinnern. Eine solche Form ist ähnlich auf den bestickten Logos der Kittel der arbeitenden Frauen zu sehen. Die Plexiglasobjekte halten die Fotografien an Ort und Stelle fest. Sie lassen dabei über die Verstrickung von Arbeit und Lebensunterhalt, Einschränkung und Schutz reflektieren.
Flink arbeitende Hände waren notwendig, um die kleinteiligen Leiterplatten für Siemens-Geräte zu bestücken. Beim Vorstellungsgespräch musste Durals Mutter ihre Fähigkeiten dahingehend unter Beweis stellen und demonstrieren, wie viele Stäbchen sie binnen 60 Sekunden in einen gelochtenHolzblock stecken konnte. Dieses Motiv eines mit Löchern gesäten Holzobjekts kommt in Durals Arbeit wiederholt vor. Auf gewisse Weise steht es für eine Kontemplation über die Bedeutung manueller Fertigung und die historische Entwicklung der Arbeit, aber es stellt auch sozioökonomische Faktoren in den Vordergrund. Denn indem Dural ihre eigene künstlerische Arbeit in einen Zusammenhang mit der Akkordarbeit ihrer Mutter stellt, macht sie den jeweiligen Möglichkeitshorizont greifbar, der den zwei Generationen gegenüberstand. Schließlich war es gerade ein solcher Wandel von Möglichkeiten, für den sich die Eltern der Künstlerin einsetzten. Dies wird auch in der Arbeit Offene Hand (Var. 2) thematisiert, in der eine Stoffarbeit ein Holzgestell drapiert. Die Form des Stoffs ähnelt erneut einer abstrahierten Hand, ist aber auch an ein Kragenschnittmuster angelehnt, der eine Arbeitsuniform assoziieren lässt.
Das gelochte Holzobjekt ist in ein Werkensemble integriert, Roter Lackschuh, Berlin-Moabit, das außerdem aus einem Foto, einem roten “Schuhhocker” und einem Holzgestellbesteht. Das Foto zeigt die Künstlerin als junges Mädchen in den Armen ihrer Mutter. Der schlichte Innenraum steht im Kontrast zu den glänzenden roten Lackschuhen, die das Mädchen trägt. Die besonderen Slipper und dazugehörigen knallroten Socken wirken keck und feierlich. Sie lassen über die Beschaffenheit von Alltag und Erinnerung nachdenken –über die festlichen Momente und fotografierten Anlässe, die einen Lebensweg säumen. Sie sind außerdem ein weiteres Beispiel für ein Detail, das für Dural am Anfang einer neuen künstlerischen Arbeit steht. So greift der “Schuhhocker”, in einem brillianten Rotton gestrichen, die kleinen Lackschuhe auf. Er fungiert als eine Art Möbelstück, das gleichzeitig trägt und zur Schau stellt, ebenso wie die roten Slipper den Fuß stützen, aber auch die junge Trägerin ins Rampenlicht rücken. Funktionalität und Repräsentation sind hier auf humorvolle Weise verquickt. Die Objekte sind auf einem Gestell aus Holzvereint, das die Körperhaltung der abgebildeten Personen spiegelt. Es erinnert ferner an Designmöbel der Moderne. Für Dural sind besonders die Entwürfe modernistischer Gestalterinnen, etwa von Eileen Gray oder Charlotte Perriand, wichtige Bezugspunkte. Sie schreiben ihr Interesse an einer von Frauen geprägten Geschichte der Arbeit, Industrie und Gestaltung fort.
Die Kindheit der Künstlerin spielt auch in der Arbeit Hocker Siemensstadt eine prominente Rolle. Hier knüpft Dural an die Sitzfläche einer Kinderschaukel an. Die Arbeit zeigt auf sensible Weise auf, wie bestimmte Formen und Gebrauchsgegenstände aus der Vergangenheit in Erinnerung bleiben können. Sie nehmen im Jetzt eine neue Bedeutung an, erzählen aber stets auch vom Damals. Sie kehren wieder.
Nicht zuletzt sind die ausgestellten Werke von Dural in eine Zeit eingebettet, die das gegenwärtige Deutschland entschieden geprägt hat. Das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit legte den Grundstein für eine Kultur des Konsums, mit der die Errichtung zahlreicher Kaufhäuser und eine zunehmend einflussreiche Werbeindustrie einhergingen. Eines der ersten Kaufhäuser dieser Art wurde in der Werkssiedlung Siemensstadt errichtet: die Kaufmitte Siemensstadt. Ihr Logo war eine aus vier Tropfenformenstilisierte Wolke. Die Form wird humorvoll in der Arbeit Kaufmitte aufgegriffen, wobei zwei Beine mit Absätzen an den Füßen aus einer Wolke in die Höhe ragen und nach einem Knick wieder zum Boden führen. Die Absätze erinnern an einen Werbespot des Einkaufszentrums aus 1961, in dem das Kaufhaus u.a. mit dem Kommentar beworben wurde, dass Frauen mit hohen Absätzen dank des ebenen Bodens nichts zu fürchten hätten.
In ihrer Gesamtheit ist die künstlerische Arbeit von Dural eine explorative, iterative Untersuchung von Vergangenheit und Erinnerung, von Bedeutungsräumen und deren Entwicklung. In einem gewissen Sinne geht es dabei auch um eine Suche nach der eigenen Geschichte, Identität und Subjekthaftigkeit. Wer sie ist oder wer sie sein kann, lotet Dural in ihrer Arbeit aus. Auffällig ist hierbei, dass Dural diesen Reflexionsprozess häufig in Form von Kunstwerken externalisiert, die an Möbel denken lassen. Das Möbelstück ist ein besonderes Objekt: Es ist ein Gegenstand aus der Vergangenheit, das in der Gegenwart genutzt wird. Sein Potenzial und seine Werthaftigkeit werden laufend aktualisiert. Gewisse Objekte stehen außerdem an der Schnittstelle zwischen ihrer zugeschriebenen Funktion (etwas zu tragen) und einer repräsentativen Qualität (etwas auszustellen, in Szene zu setzen). Auch Erinnerungen haben eine tragende und eine darstellende Funktion. Sie können als Substrat für ein Verständnis des Selbst dienen, aber auch Aspekte dieses Selbstverständnisses als solche überhaupt erst herausstellen.
Indem die Form von Durals Skulpturen häufig an ein auffälliges Merkmal aus einem alten Foto anschließt, wird ein Aspekt eines persönlichen Lebenswegs herausgeschält und in etwas verwandelt, über das man sich außerhalb seiner selbstaustauschen kann. In Durals konkretem Fall kann es auch zu einer Verschmelzung – oder gegenseitigen Abarbeitung – von Kindes- und Erwachsenenperspektive kommen. Der stete Wandel der eigenen Identität wird hier in eine greifbare Form gebracht. Dabei hilft der Akt der Übertragung eines solchen Formdetails in ein anderes Medium, Material oder Größenverhältnis dabei, einen neuen Blick auf das Erlebte zu gewinnen. Häufig werden auch mehrere bestehende Arbeiten zu neuen Werkensembles kombiniert, wodurch die Künstlerinvielfältige thematische Verstrickungen offenlegt.
Nicht zuletzt werden Betrachtende in der Auseinandersetzung mit Durals Werk zu einer Beschäftigung mit ihren eigenen Erlebnissen angeregt. Welche Formen bleiben uns in Erinnerung und wie haben sie sich in unsere Gegenwart eingeschrieben? Wo gibt es ein Potenzial oder Bedürfnis für eine Perspektivverschiebung und was kann eine solche für das Verständnis unserer selbst bedeuten? Diese so grundlegenden wie ungreifbaren Fragen werden bei Dural in eine taktile, beredte Form transponiert. In ihrer Arbeit werden Aspekte der Vergangenheit reflektiert, aber auch von dem befreit, was sie mal waren. Im Jetzt können sie eine neue Bedeutung erlangen und Denkmöglichkeiten weiten.
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